„Texte. Preis für junge Literatur 2018“: FinalistInnen beschäftigten sich mit literarischer Gestaltung von Raum und Platz
MyPlace-SelfStorage unterstützt die internationale Plattform für schreibinteressierte Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren. Der Wettbewerb „Texte. Preis für junge Literatur 2018“ begann am 3. September 2018 mit der Einreichung kurzer Texte in deutscher Sprache zum Thema „Neuland“ online über die Website. Die Finalistinnen und Finalisten besuchten Schreib-Workshops mit namhaften Autorinnen und Autoren.
Ein Sonderworkshop mit 8 Autorinnen und Autoren (Finalistinnen und Finalisten des Wettbewerbs 2018) unter der Leitung von Christoph Braendle und Barbara Glück widmete sich der literarischen Gestaltung des Themas RAUM/PLATZ und der Transformation von Informationen über die Dienstleistung SelfStorage in die literarische Welt bzw. in die Sprache des Dichters.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Dinge, die nicht in unserem Blickfeld sind, nehmen wir nicht wahr, sind für uns unsichtbar. Das Auslagern der persönlichen Gegenstände in einen Lagerraum kann metaphorisch als das Abschieben von Problemen, von Herausforderungen sein, für die wir in unserem Alltag keine Zeit haben.
Ein Kind, das ein Spielzeug nicht mehr braucht, legt es zur Seite. Ein Handwerker, der ein Werkzeug nicht mehr braucht, hängt es zurück an seinen Platz.
Machen wir das auch? Dinge, die unwichtig für uns geworden sind. Dinge, denen wir in unserem täglichen Leben keine Bedeutung mehr beimessen. Dinge, von denen wir uns aber dennoch nicht trennen können. Wir lagern sie aus, an einen anderen Ort. So wissen wir, dass sie noch da sind, dass wir sie jederzeit holen können, und doch sind sie fürs Erste verschwunden. Belasten uns nicht mehr.
Machen wir das mit unseren Problemen genauso? Lästige Gedanken, leere Überlegungen, sinnlose, hundertmal durchdachte Szenarien. Wenn wir keine anderen Lösungen finden, schieben wir sie weg, in die hinterste Ecke unseres Bewusstseins, damit sie uns nicht länger in unserem Dasein behindern. Sie sind noch da, wir wissen, dass sie noch da sind, aber wir beachten sie nicht länger und lassen uns selbst in dem Glauben, dass sie uns dort, wo sie jetzt sind, nicht mehr stören.
Ist es gut oder schlecht, dass wir das machen? Dass wir mit unseren Problemen und Ängsten genauso umgehen wie mit unseren alten Gegenständen? Würden wir irgendwann verrückt werden, wenn wir alles, was uns stört, aufheben würden? Würden wir durch den Fokus auf alte Dinge den Blick auf neue verlieren?
Doch andererseits, ist es nicht besser, alles abzuschließen, bevor man sich neuen Herausforderungen zuwendet? Ist es nicht besser, Lösungen für die alten Probleme zu finden, anstatt sie abzuschieben und weiterzuleben, bis irgendwann neue hinzukommen?
Sie sind noch da, die Gegenstände, die uns belasten, die Gedanken, die uns behindern, doch wir belügen uns selbst und gaukeln uns vor, wir hätten Platz für sie gefunden. Einen Platz, an dem sie uns nicht mehr stören. Wieso wollen wir sie dort zwischenlagern? Wieso wollen wir sie nicht gänzlich entfernen, damit wir sicher sein können, dass sie uns nie mehr belästigen? Haben wir Angst, mit der Vergangenheit abzuschließen?
mehr platz, mehr belastung, raum schaffen, immer mehr raum und dann noch
viel, viel mehr
alles muss seinen platz haben, alles hat seinen platz
ihn zu finden ist eine belastung, ein abenteuer, aber notwendig?
wenn man den platz nicht finden will, kann oder muss, kurz: ihn nicht findet,
was passiert mit ihm?
verschwunden, weg, nicht mehr da
deinen platz, wegnehmen, dir
wer? unwichtig
suche und finde deinen platz, sonst ist er weg, es ist egal, ob du ihn brauchst, er
ist dann weg und das zählt
druck
finde ihn
wenn du nicht willst, dann kriegst du statt platz belastung, statt raum druck,
belastung drückt auf deinen raum, den du hast, weil ihn alle haben
noch mehr belastung auf knopfdruck, noch weniger raum für dich
zum atmen, wie atmest du jetzt noch? unter druck
dein leben jetzt? belastend
nimm doch platz
ein stück raum, frische atemluft, freiheit
aber nimm doch platz
noch mehr platz, du brauchst raum, zum denken, zum leben, raum, viel, viel
raum und wenn du raum hast, dann brauchst du noch viel, viel mehr, das ganze
Mehr, den ganzen meeresboden, obwohl du keinen grund hast
was machst du mit so viel raum? raum ist zeit, falsch
viel raum, keine zeit, druck
über dir, du unter druck, du im raum
an deinem platz unter druck
ein anderer platz, wieder du, so viel platz und wieder du, da ist noch luft nach
oben
wo bleibt die luft zum atmen? die lust zum atmen? wo bleibt die
luft? Druck
Fanny K. "Warum brauchen wir so viele Dinge?"
Brauche ich die Puppen mit den langen, blonden Haaren noch, wenn ich doch gar nicht mehr mit ihnen spiele? Ich muss sie ja nicht wegschmeißen, ich kann sie ja jemand anderem geben, kann sie verschenken.
Was ist mit dem Paar stumpfer Eislaufschuhe, die auf der rechten Seite aufgerissen sind und was mit den ausgelaufenen Turnschuhen? Morgen schmeiße ich sie weg, so wie man das mit kaputten Dingen tut.
Ich gehe einfach zum Mistkübel und lasse sie hineinfallen. Denke mir nichts
dabei. Ja, so leicht ist das.
Aber was ist mit dir? Brauche ich dich noch?
Gehörst du auch zu den Sachen, die ich weggeben sollte, um mir mehr Platz zu verschaffen?
Vielleicht.
Oder vielleicht verschenke ich dich davor auch irgendwann.
Mutter, Kind, Stimme durch einen Lautsprecher
In einem U-Bahnwaggon befinden sich eine Frau und ein kleines Kind.
Kind: Mama?
Mutter: Ja?
Kind: Warum fahren wir gerade U-Bahn?
Mutter: Um ans Ziel zu gelangen.
Kind: Und was ist unser Ziel?
Mutter: Unser Ziel heute ist es, ein paar Dinge loszuwerden.
Kind: Wie wird man denn Dinge los?
Mutter: Man kann sie zum Beispiel wegwerfen.
Kind: Wie wird man denn Dinge los?
Mutter: Man kann sie zum Beispiel wegwerfen.
Kind: Aber man wirft doch nur Müll weg? Und Müll ist doch nicht in einer Kiste verpackt?
Mutter: Ja, unsere Dinge werfen wir auch nicht weg. Wir lagern sie aus.
Kind: Und was ist das?
Mutter: Naja, man bringt Dinge, die man nicht direkt bei sich braucht, woanders hin.
Kind: So wie Oma die Erdäpfel im Keller hat, wenn sie sie in der Küche nicht braucht?
Mutter: Ja, so in etwa.
Kind: Und wir geben die Sachen nicht in unserem Wohnungshaus in den Keller, weil da nur die Autos stehen dürfen?
Mutter: Genau.
Kind: Fahren wir zu Oma?
Mutter: Warum?
Kind: Um unsere Kiste zu den Erdäpfeln auszulagern.
Mutter: Ach nein, wir brauchen dafür nicht Omas Keller, wir haben unseren eigenen ausgelagerten – ein Self-Storage.
Kind: Das ist aber unpraktisch, wenn wir jedes Mal, wenn wir Erdäpfel brauchen eine halbe Stunde mit der U-Bahn fahren müssen.
Mutter: In unserer Kiste sind ja keine Erdäpfel.
Kind: Was ist denn sonst drinnen?
Mutter: Alles, was wir im Moment nicht brauchen.
Kind: Wirklich alles?
Mutter: Ja. Alles.
Kind: Und das passt alles in eine Kiste?
Mutter: Anscheinend.
Kind: Und weshalb kommt das weg?
Mutter: Damit wir den Platz, der dadurch frei wird, dass alles wegkommt, das daheim nur verkommt, zum Leben nutzen können.
Kind: Aber ich lebe doch auch jetzt schon, zwischen all den Dingen. Ob ich sie brauche oder nicht … Die Kiste ist aber eigentlich ziemlich klein.
Mutter: Aber schwer.
Kind: Sehr klein – all die Dinge, die wir noch zuhause haben – das sind ja die Dinge, die wir noch brauchen, und die passen nicht in so eine kleine Kiste.
Mutter: Ja, vermutlich.
Kind: Mama, wieso brauchen wir eigentlich so viele Dinge?
Mutter: Ich glaube nicht, dass wir sie brauchen, wir wollen sie eher.
Kind: Aber ist das nicht anstrengend so viel zu wollen, dass man immer ewig mit der U-Bahn fahren muss, um alle seine Dinge zu besuchen?
Lautsprecher: Wir sind am Ziel. Bitte steigen sie aus.
Hannah O. "Depressionen eines Küchentopfs"
Jetzt stehe ich hier nun schon fast drei Jahre. Keiner weiß, ob man mich haben will oder nicht oder ob ich überhaupt noch gebraucht werde. Es ist dunkel hier, nirgends eine Lichtquelle. Spinnenweben durchkreuzen die Luft, hängen auf Möbeln und stechen in den Staub. Jeder glaubt, es ist wichtig, einen Abstellraum zu haben, aber in Wahrheit haben sie keine Ahnung, was mit den Dingen darin passieren soll. Besitz besitzt, sagt man. Aber was ist mit mir – Besitz im Abstellraum? Einfach abgeschoben. Nicht mehr gewollt. In einem Raum, der nicht einmal eine einzige nackte Glühbirne aufweisen kann. Mir gegenüber steht ein Stuhl und auf mir liegt ein verstaubtes Polster, der schon seit zwei Jahren auf meinen wertvollen Henkel drückt. Abgeschoben sind wir, ganz klar. Nein, noch schlimmer: Wir sind es ihnen nicht einmal wert, dass sie uns zum Sperrmüll bringen. Wir werden nicht benutzt und nicht weggeworfen – hängend in der Schwebe zwischen Wollen und Nicht-Wollen, irgendwo dazwischen, unentschlossen. Frechheit.
Zum zweiten Mal. Also, er zieht aus, um genau zu sein, weg von ihr. Im Grunde, also unter’m Strich ist es besser so, denkt er sich, denn abseits von allem Emotionalen, die Wohnung war je eigentlich schrecklich. Ihre Wohnung; sie war nicht klein, nein, keineswegs, fünf Zimmer, hohe Decken…- und alles. Aber entsetzlich, wie sie darin gelebt hat, wie sie zusammen darin gelebt haben. Es waren nämlich überall Dinge. Dinge die irgendwann auftauchten, aus Interesse angeschafft, oder kurzfristigem Bedarf, oder Belustigung, oder einfach so, beliebig, gedankenlos. Dinge, die Platz, ihren Platz einnahmen, und immer wieder umgestellt, umgeräumt wurden, aber nie weg, nie entsorgt. Das stellt man sich auf den ersten Blick ja nett vor, spontan, persönlich, warm; und so weiter, wie man halt über Wohnungen und ihre Einrichtungen spricht. Aber Max findet das alles scheußlich, die erstickende Patina der Beliebigkeit, der Planlosigkeit, die bräunlich schillernd und hartnäckig in jedem Winkel einer Wohung haftet, wenn überall Dinge sind. So viele, so unterschiedliche, dass irgendwann eine Inflation der Dinge eintritt; das Straßenschild, das lustige, in Italien gestohlen, wird nicht mehr lustig gefunden, sondern als Kleiderständer verwendet, Postkarten und Sticker, auch alle wahnsinnig lustig, stapeln sich und verstauben am Fenstersims, der Staub vermengt sich langsam mit Klebeflächen und Hochglanzlack zu einer scheußlichen Brühe. Und die Bilder, Gemälde, Kupferstiche lehnen und hängen an der Wand so knapp nebeneinander, dass sie sich beinahe überlagern.
Vielleicht hat er sie auch darum verlassen, wegen ihrer Lebensart, also ihrer Art, zu leben, wie sie lebt. Beliebig. Vielleicht passieren Trennungen oft wegen solchen Dingen, und nicht wegen Weltbewegenden, wie wir es uns gerne einreden, um am Ende besser wegzukommen in unseren Geschichten. Das denkt er sich, und blaues Sonnenlicht kommt durch die Verglasten Wände und schneidet sein Gesicht in zwei Hälften.
Nun, Max zieht um. Er ist, wenn er in fremden Städten ist, nicht bei dem Spezifischen, dem Charakteristischen, bei den Eigenheiten. Nein, er ist dann immer dort, wo alles immer gleich ist. In den obersten Stockwerken von großen Museen, Stiftungen, Hotels, und anderen ähnlichen, souveränen Institutionen. Dort ist alles so groß, weit, hell, leer, sauber, sauber in jeder erdenklichen Hinsicht. er liebt es, dort zu stehen, nichts zu tun, einfach im Raum zu sein. Ein mit Worten schwer zu beschreibendes Gefühl breitet sich dann langsam und gleichmäßig in ihm aus, es gibt ihm Rückhalt, könnte man sagen, Beruhigung, Unverletzlichkeit. Und es ist so sauber. Er wird in seinem Leben viel dafür tun, um am Ende so wohnen zu können, wird viel unangenehmes tun, viel opfern; nur um am Ende so wohnen zu können, sich zu Hause immer so zu fühlen wie in den leeren verglasten, verkupferten, verchromten verstrahlten Oberstockwerkriesenräumen. Und er wird fast alles, was er besitzen wird, nach höchstens einem Jahr wieder entsorgen, nicht verräumen, nicht verlagern; entsorgen. Damit es nicht herumliegt. Und irgendwann, irgendwann nach längerer Zeit wurde er sich nicht mehr an sich selbst erinnern können, weil nichts da sein wird woran er sich festhalten kann. Weil festhalten, dass ist schwer in einem großen leeren sauberen Raum.
Caroline Kuba "Kann ein Raum platzen?"
Ich kann nicht atmen, denn wenn ich atme, stehle ich dir die Luft aus den Lungen.
Dir oder der gelben Badeente.
Man hat mir gesagt, dass irgendwann alles aus seinen Nähten platzen wird.
Aber was weiß Man schon.
Man hatte noch nie alle Nähte.
Noch nicht mal ein bisschen.
Noch nicht mal fast.
Ich schon.
Alle Nähte in allen Farben.
Auch gelb. So wie die Badeente.
Was weiß Man schon.
Wer ist Man überhaupt, das er glaubt zu wissen, wie viel ich besitzen dürfte.
Man weiß nichts.
Man hat nichts.
Man ist leer.
Ich nicht.
Ich bin umgeben.
Umgeben von Nähten, die mich warm und alles zusammenhalten.
Und von meiner gelben Badeente.
Und von dir.
Deswegen halte ich die Luft an.
Schnüre mir den Hals zu.
Fest.
Ganz fest.
Mit einer Naht.
So gelb wie meine Badeente
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Copyright Slideshow: Roman Picha
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